Placeholder for the image "/uploads/zoo_3bbbfe510f.jpg".

»Ich habe keine Angst mehr um ihn.«

Wie eine Mutter die Computerspielsucht ihres Sohnes erlebte

Langsam wächst die Sicherheit. Das Vertrauen, dass der Sohn seine Computerspielsucht überwunden hat. Der letzte Rückfall ist jetzt schon anderthalb Jahre her. Wie oft sah sie ihn schon unter der Brücke liegen. Im Leben gescheitert. Marion Montag (Name geändert) fühlte sich verantwortlich für die Sucht ihres Sohnes: »Du hast es zugelassen. Du hast die Spiele anfangs sogar gekauft«, warf sie sich vor. Heute kann sie sagen: »Junge, du bist für dich selbst verantwortlich.« Der »Junge« ist heute 30 Jahre alt, hat das Studium abgebrochen und mehr als zehn Jahre lang immer wieder die Nächte vor dem PC zugebracht. Das Ringen mit dem Sohn, die stundenlangen Gespräche, um ihn wieder in die Spur zu kriegen, und die Angst, dass dies nicht gelingt – »das ist eine Lebenserfahrung, die man nicht braucht«, sagt sie rückblickend. Aber an diesem Ringen sei sie auch gewachsen. Das erdet einen. Zeige einem, wie verletzlich man ist. »Am Ende ist es gut geworden«, sagt sie erleichtert.


Marion Montag hat ihre beiden Söhne allein erzogen, war berufstätig, immer zwischen Arbeit, Haushalt und Erziehung hin und her gerissen. Der Ältere zeigte dem Jüngeren, was es in der schönen neuen Welt der Computerspiele zu entdecken gab. Der Jüngere hielt mit drei Jahren zum ersten Mal einen »Game Boy« in der Hand. »Das war für mich alles noch überschaubar«, erzählt Marion Montag, »alles spielerisch, das hat noch nichts bei mir ausgelöst.« Dem »Game Boy« folgte ein PC und schon häufiger abends die Ermahnung, das Gerät jetzt aber aus zu machen. Soweit alles normal. Die Schule lief gut, beide gingen in einen Sportverein, keiner vergrub sich hinter dem PC. Peter (Name geändert) machte noch ein »1A-Abi«. Noch. Denn dann zog Peter zum Studium in eine andere Stadt. »Peter ist ein introvertierter Mensch«, berichtet die Mutter. Früh hatte er für sich entschieden »kein Alkohol, keine Partys«. Ein Jahr »lief super«. Peter ging regelmäßig zu den Vorlesungen, machte seine Prüfungen. Dann eine gemeinsame Städtereise und lange Gespräche – und irgendwann das überraschende Geständnis, seit einem halben Jahr nicht mehr an der Uni gewesen zu sein. Seine Tage und Nächte hatte er nur noch vor dem PC verbracht.


Was für eine Erfahrung, »den ganzen Ballast abzuladen«, »die Tränen fließen zu lassen« und »mit anderen Eltern zu sprechen«.


»Das war heftig«, erinnert sich Marion Montag. Da hätten schon die Alarmglocken geschlagen. Sofort habe sie vorgeschlagen, das Studium abzubrechen. Der Sohn sollte zurück in ihre Obhut. Peter musste Hausarbeit übernehmen, sich einen Job suchen und um 22 Uhr war Schluss mit den Computerspielen. Ein Praktikum klappte gut. Acht Stunden Arbeit täglich. »Das hat mir eine Menge Hoffnung gegeben. Wenn er muss, funktioniert er doch«, sagte sie sich. Zwischendurch immer wieder lange Gespräche bis spät in die Nacht, über den Sinn des Lebens und auch den ganzen Unsinn. Doch ganz sicher war sie sich nicht. »Er hat nie gesagt: Ja, du hast recht.« Ein Psychotherapeut, zu dem er ein halbes Jahr regelmäßig ging, »hat ihn nicht erreicht«. Nach einem Gespräch in einer Beratungsstelle für Mediensucht willigte er aber in eine Behandlung in einer Suchtklinik ein. Diese Phasen, in denen er wieder zurück ins Leben fand, machten Marion Montag immer wieder Mut, ließen sie hoffen, dass ihr Sohn die Kurve kriegte. Doch Peter entzog sich auch immer wieder der Kontrolle, tauchte für eine Woche ab in die Welt seiner Computerspiele. »Dieses Auf und Ab – es war furchtbar.«


Die Wende gelang mit dem ersten Abend, an dem sie sich vor eine Selbsthilfegruppe stellte und sagte: »Guten Abend. Mein Name ist Marion und ich habe ein Problem.« Was für eine Erfahrung, »den ganzen Ballast abzuladen«, »die Tränen fließen zu lassen« und »mit anderen Eltern zu sprechen«, denen es genauso ging. Seitdem hat sie gemerkt, sie muss sich wieder mehr um sich selbst und weniger um ihren erwachsenen Sohn kümmern. Sie bedrängte ihren Sohn nicht mehr und fragte ständig: »Hast du…?« oder »Du musst noch…!« Es wuchs wieder das Vertrauen, »dass er das Richtige macht«. Nicht so schnell, wie sie es sich wünschte. Aber die Einsicht wuchs: »Ich muss ihm Zeit lassen, seinen Weg zu finden.« Gleichwohl die Botschaft: »Ich bin für dich da. Komm, wenn du mich brauchst!«


Das Auf und Ab war damit nicht zu Ende. Rückschläge blieben. Nochmals der Versuch zu studieren, ohne Erfolg. Aber Peter fand eine Lebenspartnerin, die von Anfang an von seiner Sucht wusste. Die ihn zu einer Gruppentherapie ermutigte, zu der er inzwischen jahrelang regelmäßig geht. Aufgrund seiner Sucht »blieb er immer einer Gefahr ausgesetzt«, doch sein Ringen um ein suchtfreies Leben bekam eine »neue Ernsthaftigkeit«. Seine Lebenspartnerin habe »viel mehr Struktur reingebracht«. Mit seinem Bruder betreibt Peter inzwischen ein Geschäft. Damit kehrte der PC, den er nach der Klinik zu seiner Mutter gebracht hatte (»Sperr ihn weg!«), wieder in sein Leben zurück. Doch Marion Montag kann heute zumindest sagen: »Ich habe keine Angst mehr um ihn.«


Diese Computerspielsucht ist ein »einschneidendes Erlebnis für Eltern«, sagt Marion Montag heute. Zu merken, dass das Kind »nicht mehr selbstbestimmt leben kann«. Sie habe »gekämpft wie eine Löwin«. Heute ist auch sie ruhiger geworden, jedenfalls die meiste Zeit. Kein Mensch kann raus aus seiner Haut. Das Leben geht seinen Gang. Manches lässt sich beeinflussen. Manches nicht.